Ist die PDS eine demokratische Partei?

Jürgen P. Lang

Ist die PDS eine demokratische Partei?
Eine extremismus-
theoretische
Untersuchung

Nomos-Verlag
Baden-Baden 2003
29,00 Euro
ISBN 3-8329-0414-X


 

 

 

Hubertus Knabe: Wie demokratisch ist die PDS?

Jahrbuch Extremismus & Demokratie, 16. Jhrg,  Baden-Baden 2004, S. 336-338

 Die Frage ist so einfach wie kurz: Ist die PDS eine extremistische Partei? In Deutschland ist darüber immer wieder gestritten worden, vor allem dann, wenn sich die SPD anschickte, mit der PDS Regierungs- verantwortung zu übernehmen. Aber auch sonst gehen die Wogen schnell hoch, wenn es darum geht, fünfzehn Jahre nach ihrer Entmachtung das Wesen der einstigen DDR-Staatspartei zu bestimmen.

Die führenden Funktionäre der in allen ostdeutschen Landesparlamenten vertretenen Partei haben frühzeitig beteuert, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Inzwischen nehmen sie sogar für sich in Anspruch, als einzige die in der Verfassung verankerten Grundwerte gegenüber der Politik der rot-grünen Bundesregierung und den Vorschlägen der bürgerlichen Opposition zu verteidigen. Demgegenüber haben die traditionellenParteien der Bundesrepublik zunehmend divergierende Standpunkte über den Charakter der aus der SED hervorgegangenen PDS entwickelt: Während die SPD unter ihrem früheren Vorsitzenden Rudolf Scharping die Partei noch als "undemokratisch" kennzeichnete, hoben seine Nachfolger Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder dieses Verdikt auf. Sie hatten keine Einwände mehr, wenn die SPD in Ostdeutschland mit der PDS kooperierte oder sogar Regierungen bildete. CDU und CSU vertraten hingegen immer die Auffassung, die PDS sei keine demokratische Partei, wenngleich der Abgrenzungskurs unter der Ostdeutschen Angela Merkel weniger offensiv in die Öffentlichkeit getragen wurde als unter dem Westdeutschen Helmut Kohl.

Die Frage, ob die PDS eine extremistische Partei ist, hat nicht nur politische Bedeutung. Sie beschäftigt auch die Verfassungsschutzämter, die entscheiden müssen, ob sie die PDS unter Beobachtung stellen sollen, weil von der Partei eine Gefahr für die deutsche Demokratie ausgehen könnte. Auch hier weichen die Einschätzungen erstaunlich weit voneinander ab: Während das Bundesamt für Verfassungsschutz die PDS in den frühen neunziger Jahren unbeobachtet ließ, wurde sie später in seinen Jahresberichten als extremistisch eingestuft. Nach dem Regierungswechsel 1998 gab es erneut einen Meinungsumschwung, weil nun nur noch extremistische Strukturen innerhalb der PDS Erwähnung fanden. Ähnlich diffus ist das Bild bei den Landesämtern für Verfassungsschutz: Während Bayern, wo die PDS praktisch keine Rolle spielt, die Partei als extremistisch einordnete, hat Brandenburg, wo sie zweistellige Wahlergebnisse erzielen konnte, die Beobachtung der PDS immer abgelehnt. Das Saarland wiederum hat die Partei erst nach dem Wahlsieg der CDU im Jahr 2000 als extremistisch eingestuft, wohingegen Mecklenburg-Vorpommern und Berlin nach Bildung der rot-roten Koalitionen die Partei in ihren Verfassungsschutzberichten kurzerhand nicht mehr erwähnten.

Vor diesem Hintergrund ist es verdienstvoll, wenn sich der Politologe Jürgen P. Lang in seiner 2003 abgeschlossenen Dissertation darum bemüht, die Frage, ob die PDS eine demokratische Partei ist, auf wissenschaftliche Weise zu beantworten. Gerade weil die Einschätzungen über die Partei so weit auseinandergehen und in starkem Maße dem jeweiligen (tages)politischen Kalkül zu entspringen scheinen, ist seine Arbeit von grundsätzlichem Interesse. Sein Doktorvater, der Chemnitzer Extremismusforscher Eckhard Jesse, gehört zu den wenigen Wissenschaftlern in der Bundesrepublik, die sich systematisch den Gefährdungen durch rechts- oder linksextreme Bestrebungen widmen und diese Arbeit nicht den mehr oder weniger qualifizierten Analytikern des Verfassungsschutzes überlassen.

In der knapp 200 Seiten starken Arbeit, mit der der Autor mittlerweile an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz promoviert wurde, weist dieser darauf hin, daß die Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage nicht ganz so einfach ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Während die einen vor allem auf die Herkunft der PDS aus der alleinregierenden kommunistischen Partei in einem totalitären Staat hinweisen, deren Mitglieder und Funktionäre überwiegend aus der alten SED stammen, heben andere auf den programmatischen und personellen Wandel ab, den die Partei seit ihrer Umbenennung nach der friedlichen Revolution im Herbst 1989 durchgemacht hat. Zu Recht weist Lang in diesem Zusammenhang darauf hin, daß eine Partei auch dann noch extremistisch sein kann, wenn sie sich verbal zu den verfassungsmäßigen Grundlagen der Demokratie bekennt und in Parlamenten oder Regierungen mitarbeitet. Umgekehrt muß eine Partei nicht automatisch extremistisch wein, wenn ihre Ursprünge undemokratisch oder totalitär sind, sondern kann sich auch zu einer demokratischen Kraft entwickeln, die das parlamentarische System grundsätzlich bejaht. Beispiele für beide Möglichkeiten gibt es gleich mehrere in der jüngsten deutschen Geschichte - von der zeitweise parlamentarisch agierenden NSDAP bis hin zu den ehemals kommunistischen Parteien in Ost- und MItteleuropa, die heute als Sozialdemokraten auftreten.

Nach einer aufschlußreichen Darstellung der bisherigen Debatten über den Charakter der PDS und der Skizzierung seines theoretischen Bezugsrahmens versucht Lang, sich der Fragestellung auf drei Ebenen zu
nähern: Zum einen untersucht er die Ideologie der PDS, wobei er zwischen dem Verständnis der Grundwerte, der Demokratie und des Staates differenziert. Zum zweiten analysiert er das politische Agieren der Partei, das er in außerparlamentarische, parlamentarische und Regierungsstrategie gliedert. Zum dritten erörtert er die innerparteilichen Organisationsprinzipien der PDS, die auch bei einer nicht-extremistischen Ideologie undemokratisch sein können und umgekehrt. Da er die Partei nicht als einen homogenen Block begreift, unterscheidet Lang auf allen Untersuchungsebenen zwischen den Positionen und Verhaltensweisen der
"Reformer" und der "Orthodoxen", wobei zweifelhaft bleibt, ob diese idealtypische Gegenüberstellung der Wirklichkeit in der PDS immer gerecht wird. Erst am Ende führt er dann die Befunde zusammen, bewertet die Bedeutung der von den beiden Lagern vertretenen Standpunkte innerhalb der PDS und kommt schließlich zu einer abschließenden der Partei. "Der Wertekanon des demokratischen Verfassungsstaates und die ihmentspringenden Prinzipien", so Langs Fazit, "leiteten weder Denken noch Handeln der PDS (S. 155).

Der Untersuchung zufolge ist die PDS zwar keine kommunistische Partei mehr, die ein totalitäres System errichten will, doch ihr Verhältnis zum politischen System der Bundesrepublik ist zwiespältig geblieben. Strategisches Ziel sei es, eine Hegemonie der Linken herbeizuführen, wozu sowohl außerparlamentarische als auch parlamentarische Mittel sowie die Möglichkeiten des Regierungshandelns eingesetzt werden. Letztlich habe die PDS ein taktisches Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie, was nicht nur dazu führt, daß Extremisten wie die Kommunistische Plattform mit der bekennenden Stalinistin Sahra Wagenknecht in der PDS ihren Platz haben, sondern daß demokratische Prozesse vor allem unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, ob sie den eigenen Vorstellungen dienlich sind. Die Strategie der PDS läuft auf eine Zangenbewegung zwischen außerparlamentarischem Protest und Einflußnahme auf das Regierungshandeln hinaus, durch die der Staat umgebaut und der - angebliche - Einfluß des "Kapitals" zurückgedrängt werden soll.

Unter den Bedingungen der parlamentarischen Demokratie ist die PDS allerdings kein statischer Block, sondern teilt sich in unterschiedliche Lager, deren Einfluß und Positionen sich verändern können. Der Autor vertritt deshalb den Standpunkt, daß die Partei sich durchaus noch demokratisieren könne, wenn die "Reformer" ihren Einfluß ausbauen, die Programmatik der Partei verändern und die Vorstellungen breiter Wählerschichten berücksichtigen würden. Hier tue sich allerdings eine Art Teufelskreislauf auf, weil eine stärkere Beteiligung an der Regierungs- verantwortung bei den Mitgliedern und Wählern zwangsläufig zu Enttäuschungen führe, wodurch in der Partei wiederum die "Orthodoxen" gestärkt würden. Anzeichen für diese Wellenbewegung lassen sich in der Tat überall dort beobachten, wo die Partei inzwischen mitregiert.

Die Herausgeber der Schriftenreihe "Extremismus und Demokratie", in der die Studie erschienen ist, verleihen ihr im Vorwort das Prädikat "Standardwerk". Angesichts des knappen Umfangs der Arbeit und des eng gezogenen Untersuchungsrahmens ist diese Einschätzung wohl etwas zu hoch gegriffen. Für ein Standardwerk hätte man sich eine breitere empirische Analyse der PDS, ihrer Programmatik ebenso wie ihres Innenlebens und ihrer Akteure gewünscht. Welche wirtschaftlichen, politischen und sozialen Forderungen erhebt die PDS, und welche Folgen hätten ihre Umsetzung für das System der Bundesrepublik? Wie verlaufen die innerparteilichen Meinungsbildungsprozesse, und welchen Einfluß haben die alten Kader der SED, die mit Hans Modrow den Ehrenvorsitzenden stellen? Wer sich rasch über die Partei und ihren Charakter orientieren will, wird das Buch jedenfalls eher enttäuscht zur Seite legen, weil es durch seinen theoretischen Überbau und die daraus abgeleitete Systematisierung des Thema eher verstellt als öffnet. Insofern ist die Studie auch ein Beispiel für das mangelnde Vermögen vieler Politikwissenschaftler, eine aktuelle und spannende Fragestellung
für eine breitere Leserschaft griffig darzulegen.


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