Ist die PDS eine demokratische Partei?

Jürgen P. Lang

Ist die PDS eine demokratische Partei?
Eine extremismus-
theoretische
Untersuchung

Nomos-Verlag
Baden-Baden 2003
29,00 Euro
ISBN 3-8329-0414-X


 

 

 

Vorwort der Herausgeber

Von Uwe Backes und Eckhard Jesse

 Die Auffassungen zur Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) weichen in der Politik, der Publizistik und der (Politik-)Wissenschaft weit voneinander ab. Um nur zwei (Extrem-)Positionen herauszugreifen: Die einen schätzen die aus der SED, der Staatspartei der DDR-Diktatur, hervorgegangene PDS als eine extremistische Partei ein, die anderen sehen sie als eine demokratische Partei an. Von großer Bedeutung ist eine intersubjektiv nachvollziehbare  Beantwortung der Frage nicht zuletzt deshalb, weil von ihr abhängt, ob eine Regierungskoalition mit dieser Partei als Bruch eines Konsenses der Demokraten gilt. Aber auch politikwissenschaftlich besitzt eine solche Arbeit Relevanz, ist sie doch ein Lackmustest für die Ergiebigkeit der Extremismusforschung.

Wiewohl die heikle Frage, ob die PDS als extremistisch zu klassifizieren ist, zahlreiche Politiker, Journalisten und auch Wissenschaftler seit mehr als einem Jahrzehnt beschäftigt, handelt es sich bei der Studie von Jürgen P. Lang um die erste extremismustheoretische Analyse dieser Partei. Damit liefert er der künftigen wissenschaftlichen Diskussion ein solides Argumentationsgerüst. Bislang erfolgte die Mehrzahl der Urteile eher emotional als rational, selten systematisch. Lang beurteilt die PDS aufgrund von Kriterien, die nicht von vornherein eine bestimmte Antwort präjudizieren.

Im zweiten Kapitel hebt Lang das extremismustheoretische Fundament der Arbeit aus, indem er in der Auseinandersetzung mit verschiedenen wissenschaftlichen Positionen sein Verständnis des Begriffs „politischer Extremismus“ und die Kriterien seiner extremismustheoretischen Analyse erläutert. Die ausgewählten Kriterien ordnet der Autor nachvollziehbar den Bereichen Ideologie, Strategie und Organisation zu. Im einzelnen untersucht er bei der Ideologie das Grundwerteverständnis, das Demokratieverständnis und das Staatsverständnis. Im Bereich Strategie erscheinen dem Autor die außerparlamentarische wie die parlamentarische Strategie und die Regierungsstrategie von Interesse. Im Bereich der Organisation gelten Lang die organisatorischen Prinzipien der Partei wie der Umgang der Parteiführung mit innerparteilichen Strömungen als Prüfsteine. Eine solche Studie steht und fällt mit dem extremismustheoretischen Bezugsrahmen. Die Maßstäbe der Analyse sind so ausgewählt, dass kein Ergebnis präjudiziert wird.

Im Zentrum der Arbeit stehen die Kapitel III-V zu Ideologie, Strategie und Organisation der PDS. Die Auswahl orientiert sich damit an den drei für die Parteienforschung typischen Bereichen. Die Hauptkapitel sind gemäß der von Lang am Ende des zweiten Kapitels dargelegten Kriterien der Analyse untergliedert. Innerhalb der Unterkapitel unterscheidet er jeweils zwischen „Reformern“ und „Orthodoxen“ in der PDS. Trotz der Buntscheckigkeit der PDS erscheint die Beschränkung auf zwei Lager gerechtfertigt, weil „Reformer“ und „Orthodoxe“ in den innerparteilichen Auseinandersetzungen jeweils als Einheit auftraten und den Gegner auch als solche identifizierten. Die Unterscheidung bezieht sich auf den Ausgangspunkt der Entwicklung der PDS: Festhalten am ideologischen, strategischen und organisatorischen Erbe der SED („Orthodoxe“) versus (grundlegende) Reform und letztlich ein Abrücken vom ideologischen, strategischen und organisatorischen Erbe der SED („Reformer“).

Das sechste Kapitel fasst einerseits die Ergebnisse der Kapitel III bis V zusammen, geht andererseits durch seine vergleichende Perspektive deutlich über eine Zusammenfassung hinaus. Der Vergleich ist ein dreifacher: Ideologie, Strategie und Organisation der PDS bewertet Lang nicht nur entlang der Gegensatzpaare „Reformer“/„Orthodoxe“ und extremistisch/demokratisch, sondern auch mit Blick auf das jeweilige innerparteiliche Gewicht („relevant versus irrelevant“). Dieses Kapitel, das den Bogen zum zweiten schlägt, ist besonders gut gelungen. Neben den genannten drei Gegensatzpaaren fließt ein mögliches viertes, zeitliche Veränderungen nachzeichnendes Gegensatzpaar (früher/heute) in die drei anderen - unterschwellig - mit ein. Die mehrfache Differenzierung fördert ein facettenreiches Bild zutage. Was Lang mit Blick auf die innerparteilichen Konflikte zur Gretchenfrage von extremistisch und demokratisch bei „Reformern“ und „Orthodoxen“ sagt, gilt ebenso für andere Konflikte: „Ursache der Auseinandersetzungen war nicht der extremistische Charakter ‚orthodoxer’ Ideologien. Vielmehr basierten sie auf der Erkenntnis, dass deren Wirkung die viel beschworene ‚Politikfähigkeit’ der Partei, zumal in den Parlamenten und an der Regierung minimierte“. Die massiven Auseinandersetzungen zwischen „Orthodoxen“ und „Reformern“ gehen nur zu einem Teil auf den zentralen Gegensatz von Extremismus und Demokratie zurück.

Langs Ergebnis folgt seiner wissenschaftlichen Analyse, geht ihr nicht voraus. Er hält sich von Immunisierungsstrategien frei. Die  Analyse ist so formuliert, dass sich bei einer veränderten Haltung der PDS auch das Ergebnis der Einschätzung verändert. Die im Ausblick genannten Bedingungen für die Erfolge der „Orthodoxen“ und der „Reformer“ laufen auf ein Paradox hinaus. Für eine Demokratisierung sieht er drei Voraussetzungen: Vorreiterrolle der „Reformer“; Erneuerung der Programmatik in ihrem Sinne; Wahlerfolge. Nun arbeitet er jedoch heraus, dass die Erfolge der „Reformer“ zur Einbindung in die Regierungsarbeit führen. Diese wiederum ruft Enttäuschung bei Anhängern hervor mit der Konsequenz des Stimmenrückgangs. Und eine solche Schwächung stärkt „orthodoxe“ Kräfte. Gibt es aus diesem Teufelskreis für die Partei ein Entrinnen?

Jürgen P. Lang hat eine klare und kluge Analyse auf der Basis zahlreicher Quellen vorgelegt. Ihm liegen apodiktische Schlußfolgerungen fern. Seine Argumentation ist abwägend, und er lässt die Möglichkeit einer künftigen demokratischen Entwicklung der Partei offen (die parlamentarische Arbeit der PDS biete eine Chance der Demokratisierung), obwohl er zu dem Ergebnis kommt, die PDS sei im Kern eine extremistische Partei. Der Autor nimmt ungeachtet seiner wissenschaftlichen Differenziertheit kein Blatt vor den Mund. Man muß lange suchen, um woanders eine solch klare Aussage zu finden, wie sie am Schluss seiner Arbeit auftaucht: “Die Auseinandersetzung mit der PDS ist gekennzeichnet von der Ignoranz demokratischer Kräfte gegenüber der extremistischen Orientierung der Partei. Deshalb ist es um diesen Konsens nicht zum besten bestellt. Zumindest ist er in eine bedenkliche Schieflage geraten. Andernfalls würde man der linksextremistischen PDS genauso entschieden und eindeutig entgegentreten wie den rechtsextremistischen ‘Republikanern’”. Wird demächst eine Untersuchung erscheinen, die anhand eines festen Kriterienrasters den im Kern demokratischen Charakter der PDS herausdestilliert? Dabei käme eine solche Arbeit nicht umhin, die Herausforderung durch Lang anzunehmen.

Die Studie besticht durch ihren logischen Aufbau. Die spezifische Stärke ist die prinzipielle Art der Argumentation, die sich von kurzatmiger Aktualität freimacht. Dadurch ist diese Arbeit, die eine enorme Zahl an repräsentativen Quellen auswertet, nicht für den Tag geschrieben. Sie dürfte schnell das Prädikat „Standardwerk“ erlangen. Der Autor bildet seine Urteile nicht – wie das leider häufig geschieht – auf der Grundlage der Auswertung der Sekundärliteratur, sondern ausschließlich auf der Grundlage der Quellen selbst. Eine weitere große, besonders hervorzuhebende Stärke ist der Blick für das Wesentliche. Lang verfolgt zielsicher ein klares Untersuchungskonzept und belastet den Leser nicht mit überflüssigen, von der Fragestellung wegführenden Details.

Die politikwissenschaftliche Forschung wird an dieser extremismustheoretischen Grundlagenstudie nicht vorbeikommen – unabhängig davon, wie man im einzelnen ihre Ergebnisse bewertet, da deren Herleitung gut nachvollziehbar ist. Der Autor arbeitet nicht mit „Setzungen“, sondern mit Begründungen.
 

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