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Wolfram Adolphi Utopie kreativ [Theoriezeitschrift der PDS]
H. 170, Dezember 2004, S. 1138-1141
[Rezension zusammen mit Franz Oswald: The Party that Came out of the Cold War. The Party of Democratic Socialism in United Germany, Westport/London 2002]
[...] Franz Oswald beendet seine Darstellung der PDS-Entwicklung mit der These, daß “im Jahre 2006 die weitere Normalisierung der PDS das
Zustandekommen einer ‘schwedischen Mehrheit’ erlauben könnte” - also: einer sozialdemokratisch-grünen Koalition, die von den Linkssozialisten unterstützt wird.
Vor einer solchen Perspektive graut es Jürgen P. Lang, dem Verfasser des zweiten hier in Rede stehenden Buches, ganz ausdrücklich. Die “Auseinandersetzung mit der PDS” - so beschließt er
seine Studie - sei gekennzeichnet von der Ignoranz demokratischer Kräfte gegenüber der extremistischen Orientierung der Partei”. Damit sei es um dem “Konsens
der Demokraten (...) nicht zum besten bestellt”. Er sei “in eine bedenkliche Schieflage geraten”, denn: “Andernfalls würde man der linksextremistischen PDS genauso entschieden und eindeutig
entgegentreten wie den rechtsextremistischen ‘Republikanern’.” (S. 162)
Ja, ja: Mit solchen Sätzen wird man in Deutschland 2003 Doktor. Lang ist
ein erfahrener und oft zitierter PDS-Analytiker, und was hier gedruckt vorliegt, ist seine Dissertation, die er an der Philosophischen Fakultät der
TU Chmenitz in der Doktorvaterschaft von Eckhard Jesse verfertigt hat - eines Mannes, der sich mit seinen Extremismus-Forschungen einen Namen gemacht hat. Aber was nützen alle Erfahrung und alle
Namhaftigkeit, wenn am Ende ein solches Buch herauskommt? Ein Buch, das nicht wirklich - wie der Titel ja eigentlich verheißt - einer Frage nachgeht, sondern nur der
Bestätigung längst feststehender Urteile dient? Man kennt solche Aufgabenstellungen aus schlechter Marxismus- Leninismus-Praxis: “Beweisen Sie, daß...”
Bei Jürgen P. Lang gibt es nichts von der Distanz, die Franz Oswald für die Arbeit des Historikers und Analytikers für so wichtig hält, aber alles
von der durch Oswald beklagten Nähe zwischen Analyse und Strategie. Und diese Strategie liegt völlig offen auf der Hand: Die PDS wird gesehen
als “Hypothek der deutschen Wiedervereinigung” (S. 15) - als Belastung also, und die muß weg, und zur Begründung dieses Wegmüssens ist auch das üble Mittel der Gleichsetzung von PDS und rechtsextremistischen
Parteien nur recht und billig.
Die Arbeit von Lang ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie sich durch ein solch strategiegebundenes Analysieren viel Interessantes und
Gründliches am Ende doch selbst entwertet. Die Gliederung des Buches ist schlüssig: Nach Einleitung und Beschreibung eines “extremismus- theoretischen Bezugsrahmens” mit den Abschnitten “Extremismustheorie
im Spannungsfeld von Normativität und Empirie”, “Demokratischer Verfassungsstaat als Pendant zum Extremismus” und “Maßstäbe der Analyse” folgen zu den Themen “Grundwerteverständnis”, “Demokratie-
verständnis”, “Staatsverständnis”, “Außerparlamentarische Strategie”, “Parlamentarische Strategie”, “Regierungsstrategie”, “Organisations- prinzipien und innerparteiliche Demokratie” sowie “Umgang mit
innerparteilichen Strömungen” jeweils vergleichende Darstellungen von “Reform”-Positionen und “orthodoxen” Positionen innerhalb der PDS.
Das ist alles sehr gut recherchiert und quellengestützt und mit etlichem Detailgewinn für den an der PDS-Geschichte Interessierten aufgearbeitet
- aber der “extremismsutheoretische Bezugsrahmen” ist das Problem. Er stammt von Langs Lehrern Eckhard Jesse und Uwe Backes, mit ihm werden “sämtliche politische[n] Auffassungen und Akteure in
demokratische und extremistische (antidemokratische)” eingeteilt - oh, wie einfach ist doch die Welt gestrickt! -, und der Begriff des “politischen Extremismus” wird zur “Sammelbezeichnung für
unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen” gemacht, “die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte einig wissen” (S. 43) Ein solcher Rahmen ist
natürlich viel zu eng, um etwa den Blick auf die Dynamik gesellschaftlicher Verhältnisse öffnen zu können und damit die Parteianalyse vom Schreibtisch der Philister ins Leben hinaus zu holen.
Die reale Gesellschaft mit ihrer Dynamik, in ihren seit 1989/90 von besonderer Heftigkeit geprägten Veränderungen - sie kommt bei Lang nicht vor. Was dort vorkommt, ist eine statische, aus der alten
Bundesrepublik vorgegebene “Demokratie”, ist ein ebenso statischer “Verfassungsstaat”, und an all dem wird die “Hypothek” PDS nun gemessen. Das Ergebnis spiegelt sich in den Sätzen wie diesen: “Die PDS
beanspruchte, eine demokratisch geläuterte Kraft zu sein, die sich den Entscheidungsmechanismen des demokratischen Verfassungsstaates nicht verweigert. Während sie als Wählerpartei innerhalb der Instanzen
des demokratischen Verfassungsstaates weitgehend an der politischen Macht teilhaben wollte, hielt sie aber den ‘außerparlamentarischen Kampf
um gesellschaftliche Veränderungen’ für ‘entscheidend’ und eine gegen den Staat gerichtete ‘Gegenmacht’ für notwendig. Der eine Aspekt spricht auf den ersten Blick eher für, der andere eher gegen die
demokratische Qualität der PDS” (S. 29). Parlament gleich Demokratie, außerparlamentarischer Kampf gleich nicht-demokratisch resp. extremistisch - nein, damit ist im Leben kein Blumentopf zu gewinnen
(und dürfte eigentlich auch in der Wissenschft keiner zu gewinnen sein).
Aber das Lächeln darüber bleibt einem im Halse stecken, weil die ganze
Methode nicht nur wissenschaftlich fragwürdig, sondern zugleich auch das ist, wogegen Lang ja vorgeblich zu streiten meint: demokratie- feindlich nämlich. Denn Demokratie ist Demokratie nur
in Veränderung und nur in Beteiligung aller und natürlich nicht zu trennen von Wirtschaft und Sozialem und Kultur und Vision. Lang aber - ein weiteres Mal seinen
Lehrer Jesse ins Feld führend - meint: “Im Kern ist es der Utopismus, der Linke zu Extremisten macht” (S. 51).
Wissenschaft als willfährige Dienerin gegebener Herrschaftsform - in
Langs Buch darf sie fröhliche Urständ feiern.
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